Der Bürgerrat Klima steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten a. D. Horst Köhler
Foto: Robert Boden. Quelle: Bürgerrat Klima
Der Klimawandel und seine Folgen sind längst auch in Deutschland spürbar. Schnelles Handeln ist dringend erforderlich – aber nicht nur seitens der Politik, sondern auch seitens der Bevölkerung. 160 Bürgerinnen und Bürger haben deshalb im Rahmen des „Bürgerrats Klima“ wichtige Klimamaßnahmen erarbeitet und diese an die Regierung gerichtet.
Im Interview mit bundestagswahl-2021.de (jetzt: wahlen.info, Anm. d. Red.) berichtet Pressesprecher Friedrich Göring, wie die Teilnehmer ausgewählt wurden, wie die zwölf Sitzungen abliefen und welches Ziel der Bürgerrat verfolgt.
Der Träger des Bürgerrats, der Verein BürgerBegehren Klimaschutz e. V., wurde ursprünglich gegründet, um kommunale Klimaschutzmaßnahmen zu fördern. Wie kam es zu der Entscheidung, ein Projekt auf Bundesebene auf die Beine zu stellen?
Der Verein BürgerBegehren Klimaschutz ist von Mitgliedern des Vereins Mehr Demokratie initiiert worden. Mehr Demokratie ist Partner bei der Beratung von verschiedenen Bürgerbegehren. So hat unser Verein auch früh die Aktivitäten von Mehr Demokratie im Hinblick auf andere Bürgerräte auf Bundesebene mitverfolgt.
Bereits nach dem ersten Bürgerrat Demokratie kam von vielen Seiten die Idee auf, einen Bürgerrat Klima aufzusetzen. Der Ältestenrat des Bundestages entschied sich jedoch für das Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“. Wegen des bestehenden Zeitdrucks beim Klimathema und des Gelegenheitsfensters eines bevorstehenden Regierungswechsels, haben wir und die Scientists für Future uns daher entschlossen, selber einen zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrat Klima zu initiieren.
Unser Ziel ist es, dass die Empfehlungen des Bürgerrats bestenfalls in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden und so maximale Wirkung entfalten können. Die Klimapolitik der nächsten Bundesregierung ist einfach zu wichtig, als dass wir damit noch hätten warten können.
Die 160 Mitglieder des Bürgerrats Klima wurden per Losverfahren ausgewählt. Was ist der Gedanke dahinter?
Losbasierte Bürgerräte bieten sich besonders für gesamtgesellschaftliche Fragen an, wie beispielsweise die Umstellung der Wirtschaft im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens. Die Politik der letzten Jahre hat wichtige, weichenstellende Klimaschutzmaßnahmen teils aktiv verhindert, teils hat sie nicht den Mut aufgebracht, den Bürgerinnen und Bürgern und sich selbst den schieren Umfang der Aufgabe klarzumachen. Und immer wieder hieß es, sie würden ja so gerne, aber die Bevölkerung will das nicht.
Nun kann man nicht ganz Deutschland an einen Tisch bringen, wohl aber ein annähernd repräsentativ ausgelostes Mini-Deutschland. Sie bilden den Bürgerrat Klima. Diese 160 Menschen haben sich stellvertretend für Deutschland über die Klimakrise informiert, haben diskutiert und hinterfragt und schließlich Maßnahmen für die Einhaltung des Pariser Abkommens vorgeschlagen.
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Wie wurden die Ausgelosten auf die erste Sitzung vorbereitet?
Erst einmal ging es um die organisatorische Vorbereitung. Die Bürgerräte bekamen Informationen über den Bürgerrat Klima und die ihn stützenden Organisationen, über den Ablauf mit Terminen und Inhalten und über die eingesetzte Kommunikationstechnik sowie Kontaktadressen für Hilfeanfragen. Dabei war es zunächst besonders wichtig, dass allen Bürgerräten der Zugang zu dem digitalen Format ermöglicht wurde. Inhaltlich ging es erst mit der ersten Sitzung los.
Und wie wurden die Themengebiete ausgewählt?
Dafür war das wissenschaftliche Kuratorium verantwortlich. Berücksichtigt wurden bei der Auswahl der Themengebiete die Ergebnisse von Befragungen der Bundestagsparteien, der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung.
Wegen der Coronavirus-Pandemie mussten die Sitzungen online stattfinden. Im Bild: Hinter den Kulissen der 1. Sitzung des Bürgerrats
Foto: Robert Boden. Quelle: Bürgerrat Klima
Gab es bei den Treffen hitzige Diskussionen oder konnten sich die Teilnehmenden meist schnell einigen?
Natürlich gab es hier und da emotional geführte Diskussionen, das gehört zu solch einem Prozess dazu und ist ganz wichtig. Wenn sich alle nur hinsetzen und Ja sagen, dann können komplexe Fragestellungen keine Ergebnisse bringen. Mithilfe der Moderation und der Begleitung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als sogenannte Faktenchecker fungierten, wurden die Diskussionen aber immer lösungsorientiert und faktenbasiert ausgetragen.
Generell verliefen die Diskussionen deswegen engagiert und kooperativ, man hat gemerkt, dass die Teilnehmenden wirklich nach guten, tragbaren Lösungen gesucht haben.
Wie wurden die Mitglieder des Rates bei der Meinungsbildung unterstützt?
Zur Einführung in die Grundlagen der Klimakrise gab es ein Einführungsvideo, das zunächst die Dimension zwischen der Erderwärmung von 1,5 Grad und 2 Grad Celsius darstellen sollte. Zur ersten Sitzung gab es außerdem einen Einführungsvortrag des Klimaforschers Stefan Rahmstorf. Jedes der Handlungsfelder, Energie, Wohnen und Wärme, Mobilität und Ernährung, wurde mit einem Vortrag eingeführt.
Die schon erwähnten Faktenchecker und die Moderation stellten zudem sicher, dass der Prozess und die Diskussionen bis in die kleinsten Gesprächsgruppen ausgewogen, faktenbasiert und gerecht geführt wurden. Die Einführungsvorträge und zusätzliche Informationen waren auch zwischen den Sitzungen auf einer internen Plattform jederzeit zugänglich.
Welche Leitsätze konnte der Bürgerrat in seinen zwölf Sitzungen erarbeiten?
Wesentlich war für die Bürgerräte der folgende übergeordnete Leitsatz: Das 1,5 Grad Ziel hat oberste Priorität. Vor dem Klima sind wir alle gleich. Um den Erhalt der Lebensgrundlage aller Menschen, von dem die Zukunft der nachfolgenden Generationen abhängt, sicherzustellen, ist das 1,5-Grad-Ziel nicht verhandelbar. Jedes neue Gesetz ist auf seine Klimaschutzwirkung zu überprüfen und darf den Klimazielen nicht entgegenwirken. Klimaschutz ist ein Menschenrecht und muss ins Grundgesetz aufgenommen werden.
Die Leitsätze zu den einzelnen Handlungsfeldern und das ganze Bürgergutachten stehen übrigens auch für alle verfügbar auf unserer Website.
Das Gutachten des Bürgerrats Klima wurde hochrangigen Politikern vor der Bundestagswahl übergeben. Die Spitzenkandidaten Armin Laschet, Olaf Scholz, Robert Habeck und Dietmar Bartsch bekamen je ein Exemplar ausgehändigt.
Foto: Janine Escher. Quelle: Bürgerrat Klima
Wie verbindlich sind die Ergebnisse für die Bundesregierung?
Wie bei allen Bürgerbeteiligungsverfahren oder Beratungen sind die Ergebnisse nicht politisch verbindlich. Das gilt für den Bürgerrat Klima wie für andere Bürgerräte, soweit keine Verfassungsänderung vorgenommen wird.
Da aus unserer Sicht die Fragestellung politisch angemessen und die Qualität des Prozesses insgesamt sehr hoch war, ist mit dem Bürgergutachten ein Angebot an die Politik entstanden, dessen Nutzung allein von der Bereitschaft der nächsten Bundesregierung abhängt. Wir hoffen, die neue Koalition nutzt diese Chance.
Warum ist beim Thema Klima überhaupt mehr direkte demokratische Mitbestimmung nötig?
Bürgerräte haben einen repräsentativen Charakter, es handelt sich um eine sehr unmittelbare Form der Repräsentation. Das ist für gesamtgesellschaftliche Problemstellungen hilfreich, da ein Bürgerrat eine Mini-Gesellschaft darstellt, die stellvertretend für die Gesamtbevölkerung diskutiert und Lösungen aufzeigt. Die Politik kann sich darauf berufen und so zusätzlichen Rückhalt für ihre Klimapolitik erlangen.
Das Interview führte Jana Freiberger.
Das Gutachten des Bürgerrats Klima kann auf der Website des Projekts als PDF heruntergeladen werden (51 Seiten)
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